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Das Digitale Semester – „Aufstehen, Laptop, Netflix, schlafen“

An der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät in Würzburg werden seit Ende November nahezu alle Lehrveranstaltungen ausschließlich Online abgehalten. Doch welchen Einfluss haben die Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung und die damit einhergehende Online-Lehre auf das Leben und die Motivation der Studenten?

Studieren aus dem Kinderzimmer

Der Treppenaufgang der Neuen Universität in Würzburg ist leer, die Tische am Rand des Raumes mit einem rot-weißen Band abgesperrt. Nachdem am 25.11. der neuste Beschluss von Bund und Länder für Hochschulen die grundsätzliche Umstellung der Lehre zur digitalen Form forderte, wurden nahezu alle Lehrveranstaltungen nur noch Online angeboten. Vor allem für Studenten des Ersten Semesters bedeutet dies, wenig Kontakt zu anderen Studenten und oft die Entscheidung weiterhin bei ihren Eltern zu leben, anstatt in eine eigene Wohnung oder WG zu ziehen. „Es ist nicht schlimm, aber hat mit einem Studentenleben eigentlich nichts zu tun“ erzählt Sebastian. Er ist 19 Jahre alt und studiert seit November Wirtschaftswissenschaften in Würzburg. „Aufstehen, Laptop, Netflix, schlafen“ so beschreibt er seinen Studentenalltag und spricht dabei für viele seiner Kommilitonen.

In einer Umfrage unter Erstsemester Studenten, welche in Würzburg Wirtschaftswissenschaften studieren, gaben 18 der 24 Befragen an, dass sie während des Semesters bei ihren Eltern leben. 2016 waren es im Vergleich nur 20%. „Es lohnt sich einfach nicht auszuziehen.“, berichtet Sebastian. Nachdem die Bars und Diskotheken im Zuge der Pandemie Bekämpfung pünktlich zum Start des Wintersemesters 20/21 geschlossen wurden, sitzen die meisten Studenten nahezu den ganzen Tag vor einem Laptop, Tablet oder Smartphone. „Ob ich das in einem WG-Zimmer oder Zuhause mache ist eigentlich egal“, schlussfolgert Sebastian. In Zusammenhang mit den Kontaktbeschränkungen führt das bei vielen der Studenten zu wenig Kontakt mit anderen Kommilitonen.

Lediglich drei der befragten Studenten geben an während des Semesters mehr als zwei neue Kontakte in Form von Freundschaften oder Bekanntschaften geschlossen zu haben. Soziale Strukturen, wie Lerngruppen entstehen durch den fehlenden Kontakt selten, was zu wenig Austausch innerhalb des Studiums führt. „Da man sich nicht einfach mit anderen in der Bibliothek treffen kann bekommt man viele Dinge auch einfach nicht mit und das demotiviert schon“, berichtet Sebastian. Dabei geht es in erster Linie um generelle Themen und Erfahrungen. „Es gibt kein Gespräch darüber, wie man für welches Fach lernt oder wo es Schwierigkeiten gibt. Jeder sitzt in seinem Zimmer und studiert halt“.

Von der anderen Seite des Bildschirms

Professor Toker Doganoglu ist bereits seit einigen Jahren Inhaber des Lehrstuhls für VWL und veranstaltet dieses Semester mehrere Kurse. Auch für ihn ist die Umstellung der Lehre ungewöhnlich und bringt Herausforderungen mit sich. „Ich fühle mich eigentlich alleine während der Vorlesung. Manchmal ist es hilfreich die Gesichter und Gesten der Studierenden zu sehen“ hält der Professor fest. In der Gesamtheit der Studierenden sieht er aber keinen starken Unterschied des Motivationsniveaus im Gegensatz zu den vergangenen Semestern. „Die Anzahl der Leute, die in Zoom-Sessions kommen, und die im Audimax in den vergangenen Jahren waren sind vergleichbar“ berichtet er. Auch die Teilnahmebereitschaft der Studierenden an den Veranstaltungen ist ähnlich. Dabei versucht Professor Doganoglu die Vorteile der Online-Lehre in Form von Live- Umfragen oder Breakoutseesions zu nutzen, um selbst im Digitalen Semester eine Interaktion zu ermöglichen. Die gebotenen Optionen werden zwar nur von einem Teil der Studenten angenommen, dass ist für den Professor aber dennoch kein Grund damit aufzuhören. „Wenn die Hälfte der Studierenden damit etwas mehr lernen, ist es immer noch ein Gewinn“.

Digitale-Lehre – Ein Schritt in die Zukunft

Wie sich das Digitale-Semester Schlussendlich auf die Leistung der Studenten auswirkt, ist abzuwarten und wird erst Ende Februar ersichtlich. Die Online-Lehre als solche kann jedoch auch für die Zukunft entscheidende Vorteile mit sich bringen und Erkenntnisse liefern, welche auch in der Präsenzlehre angewandt werden könnten. „Ich denke in der Zukunft werden wir eine Mischung von beiden Arten der Lehre nutzen“ schlussfolgert Professor Doganoglu, „Im Moment laufen viele nützliche Experimente [und] wir werden die Guten Teile unserer Erfahrung in der Zukunft in unsere Lehrveranstaltung integrieren“. Denn „langfristig müssen wir Wege finden, wie [wir] interaktive Lehre schaffen können“. Damit kann das Digitale-Semester für die jetzigen Erstsemester Studenten vielleicht im späteren Verlauf ihres Studiums sogar einen Vorteil bieten, wenn die Absperrbänder abgehangen sind und sie wieder in den Räumen der Neuen Universität studieren können.

Von Philipp Winkler