Am Abend des 24. Januar ging die Vortragsreihe “Journalisten und Journalistinnen berichten aus der Praxis” in die nächste Runde. Die Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät empfing Giovanni di Lorenzo im Audimax der Universität am Sanderring.
Letzten Sommer sagte der Chefredakteur der “Zeit” seinen Auftritt noch aufgrund der Regierungskrise ab. Diesmal hielt er seinen Vortrag zum Thema “Kann man heute noch Elite sein? Ein Plädoyer für Mut und Verantwortung”. In diesem fordert di Lorenzo die Elite von morgen auf, Verantwortung zu übernehmen. Das heißt für ihn: “Sich einzubringen in stürmischen Zeiten.”
Mit Anlaufschwierigkeiten zur Elite
Giovanni di Lorenzo hatte keinen einfachen Weg zur Elite. Er wuchs in Deutschland und Italien auf, wechselte oft die Schule. “Ich habe so viele Schulen besucht”, schmunzelt der 59 Jahre alte Journalist, “dass ich mich gar nicht mehr an alle erinnern kann.” Trotz einer Ehrenrunde absolvierte er 1979 sein Abitur in Hannover. Ein ehemaliger Direktor bescheinigte ihm, dass er alle Anlagen für eine kriminelle Karriere besitze. Unbeeindruckt von dieser Meinung schloss di Lorenzo 1987 sein Studium in Kommunikationswissenschaften, Politikwissenschaften und Neuerer Geschichte an der Universität München ab.
Seine Karriere als Print und Fernsehjournalist läuft erfolgreich und ist mit Preisen dekoriert. Neben seinem Job als Chefredakteur der Wochenzeitung “Die Zeit” ist er Mitherausgeber des “Tagesspiegel”. Di Lorenzo erarbeitete sich den Status der Elite.
Die verkannte Elite
Was bedeutet es also Elite zu sein? “Elite zu sein heißt zu führen, es sich nicht zu einfach zu machen”, sagt di Lorenzo. Diese akademische Elite, die unsere Gesellschaft führen soll, steht aktuell in der Kritik. Die Populisten beschuldigen das Establishment, für politische und gesellschaftliche Probleme verantwortlich zu sein. “Die Elite wird verpönt und beschimpft”, beschreibt di Lorenzo die Lage. Für den Chefredakteur steht fest: “Volk und Teile des Establishments haben sich vielerorts auseinandergelebt.”
Das Vertrauen in die Elite schwindet beispielsweise durch Vertuschung von Missbrauch innerhalb der Kirche, Betrugsfälle im Spitzensport oder unter Journalisten. Die Elite setzt sich nicht für das Volk ein und hat die Bodenhaftung verloren. “Ohne Prinzipien und ohne Engagement geht es leider nicht”, sagt der Chefredakteur. Die Elite bleibt unter sich und hält nur den Kontakt mit ihresgleichen: “Probleme der Mehrheit werden vernachlässigt.”
Ohne Elite geht es nicht
“Unsicherheit und Unübersichtlichkeit”, beschäftigt laut di Lorenzo die junge Bevölkerung. In Zeiten der Globalisierung, des Populismus oder des Klimawandels seien Persönlichkeiten wichtig, die vorangehen. Kein Mensch kann in allen Bereichen eine Vorbildfunktion einnehmen.
Trotzdem betont der Chefredakteur: “Wir brauchen Eliten.” Die Eliten müssten bereit sein, Verantwortung zu übernehmen. Sie sollen Werte hochhalten und Regeln einhalten. Trotzdem dürfen Sie keine Angst davor haben Risiken einzugehen und Fehler zu produzieren. Die Eliten von heute sind in einem einheitlichen Europa mit einer Währung und Reisefreiheit aufgewachsen. Damit dieses weltoffene Europa anhält, braucht es Eliten, die dafür kämpfen. Zum Abschluss fordert di Lorenzo deshalb: “Füllen Sie dieses Europa mit Leben.”
Von der Redaktion