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Joscha Riemann, Gründungsmitglied des sozialen Start-Ups integrAIDE (Foto: Anne Hempel)

Kein Ehrenamt wie jedes andere

Geflüchtete, die Arbeit suchen, haben es in Deutschland oft nicht leicht: Bürokratische Hürden, komplizierte rechtliche Anforderungen und Skepsis bei Unternehmen stellen große Herausforderungen für sie dar. IntegrAIDE hat es sich als soziales Start-Up zum Ziel gesetzt, Geflüchtete erfolgreich in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Die Initiative mit Ursprung an der Universität Würzburg bildet Ehrenamtliche zu sogenannten Job Coaches aus, die Geflüchteten und Unternehmen dabei helfen, zusammenzufinden. MAIN traf Joscha Riemann, einen der Gründer des sozialen Start-Ups, zum Gespräch in Würzburg.

Joscha, wie ist das Projekt integrAIDE entstanden?

Wir haben integrAIDE vor etwa zwei Jahren gegründet. Das Projekt ist aus einer Idee von Professor Pibernik entstanden, der auf der Höhe der Flüchtlingskrise versucht hat, einen Geflüchteten in Arbeit zu vermitteln. Er hat sehr schnell gemerkt, wie viel Arbeit hinter diesem Vorhaben steckt – und dass es alleine, ohne eine Ahnung vom Asylrecht, kaum leistbar ist. Trotzdem wollte er das Thema nicht aufgeben und hatte die Idee, seine Studierenden einzubinden: Vielleicht würden sich ja ein, zwei finden, die etwas Gutes und Sinnvolles im Zusammenhang mit Geflüchteten tun wollen. Das kam gut an. Letztendlich haben sich 14 Leute dazu bereit erklärt, an dem Projekt mitzuwirken.

Heute führt ihr das Projekt als soziales Start-Up weiter und bildet Ehrenamtliche zu sogenannten Job Coaches aus. Sie helfen dabei, Geflüchtete und Unternehmen zusammen zu bringen und zwischen ihnen zu vermitteln. Wie seid ihr auf diese Idee gekommen?

In unserem Pilotprojekt in Alzenau in Unterfranken haben wir gemerkt, dass Ehrenamtliche schon in vielen Bereichen der Flüchtlingshilfe wahnsinnig präsent sind – nicht aber im Bereich Arbeitsmarktintegration. Für Ehrenamtliche sind die Prozesse sehr komplex, das Einarbeiten in Asyl- und Arbeitsrecht außerdem sehr zeitaufwändig. Im November 2015 hatten wir aber einen Ehrenamtlichen hier, der sich genau diesem Bereich angenommen hat: Herr Ogale hat 17 Leute an die Hand genommen und versucht, sie in Arbeit zu bringen. 15 davon hat er erfolgreich vermittelt – das ist eine grandiose Quote gewesen. Allerdings war der Zeitaufwand mit gefühlten 70 Stunden in der Woche immens. Genau an diesem Punkt haben wir dann angesetzt: Wir wollten die Funktion, die er wahrnimmt, mit gut strukturierten Prozessen kombinieren. Wir wollten ein Ehrenamt schaffen, das zwar anspruchsvoll ist, aber für den durchschnittlichen Ehrenamtlichen leistbar. Das war die Geburtsstunde des Job Coach.

Was ist das Besondere eurem Job-Coach-Konzept?

Wir bieten einen qualitativen Mehrwert, den es in dieser Form nicht noch einmal gibt: Unsere Job Coaches nehmen Geflüchtete persönlich an die Hand und begleiten sie im Integrationsprozess. Dabei arbeiten sie gleichzeitig eng mit den Unternehmen zusammen und nehmen eine vermittelnde Rolle ein. Viele Vorbehalte und viele Hürden, die ein Unternehmer hat, kann ein Job Coach dabei senken. Ein Beispiel: Personen aus dem südeuropäischen und arabischen Raum haben ein eher polychrones Zeitverständnis, Zeit spielt also eher eine untergeordnete Rolle. Das sorgt in Deutschland, wo Pünktlichkeit großgeschrieben wird, natürlich sehr schnell für Konflikte. Ob ein Zuspätkommen im konkreten Fall schlimm ist oder nicht, ist dabei egal – wenn man vielleicht ohnehin schon Vorbehalte hat, kann eine Arbeit so schnell wieder zu Ende sein. Ein Job Coach kann hier aber eingreifen. Er kann zwischen den Parteien vermitteln und interkulturelle Unterschiede erklären. So kann er dafür sorgen, dass das Arbeitsverhältnis länger bestehen bleibt.

Wie kann man zum Job-Coach werden?

Die Ausbildung zum Job Coach erfolgt an zwei Tagen, an denen zwei Trainer von uns eine Gruppe von sechs bis zwölf Leuten schulen – und zwar in wirklich allen Bereichen, die man braucht, um Geflüchtete in Arbeit zu bringen. Ein großer Bereich hat mit dem Rechtlichen zu tun, also mit Asyl- und Arbeitsrecht. Diesen Workshop haben wir bewusst so entwickelt, dass alles Wichtige übersichtlich vermittelt wird, aber auch interaktiv gestaltet ist. Man wird also nicht nur strikt nach Frontalunterricht an das Thema herangeführt, sondern auch spielerisch. Außerdem geht es beispielweise darum, welche Fördermöglichkeiten es für Unternehmen gibt und mit welchen hauptamtlichen Institutionen ich vor Ort zusammenarbeiten kann.

Wie geht es nach der Ausbildung weiter?

Nach der Ausbildung ziehen wir uns zurück und die Ehrenamtlichen vermitteln die Geflüchteten vor Ort selbst. Wir geben ihnen dafür einen Online-Werkzeugkasten an die Hand, mit Checklisten und Vorlagen. Wir haben auch einen Job-Tree entwickelt, durch den man sich durchklicken kann. Er zeigt, mit welchem Status, in welchem Alter ein Geflüchteter welcher Tätigkeit nachgehen kann. Außerdem haben wir eine Wissensplattform aufgebaut. Wenn darüber hinaus Fragen offenbleiben, stehen wir natürlich als Ansprechpartner zur Verfügung.

Wie sieht der ideale Job Coach aus?

In jedem Fall motiviert. Wir haben festgestellt, dass der Job Coach kein Ehrenamt ist, wie es sich typischerweise in den letzten Jahren entwickelt hat – man engagiert sich bei uns nicht mal zwei, drei Stunden in einem klaren Projekt und hört dann auf. Die Idee des Job Coaches ist, dass er eine Person über mehrere Monate immer wieder begleitet. Das kann natürlich sehr einfach sein – ein Anruf beim Job Center und am Schluss begleitet man ihn zu einer Firma. Aber es kann auch intensiver werden, mit längeren Prozessen – wenn sich beispielsweise Arbeitsgenehmigungen hinziehen oder es im Unternehmen zu Problemen kommt. Der Job Coach ist deshalb eine Art professionelles Ehrenamt mit einem anspruchsvollen Thema – aber auch einem Thema, das einen wahnsinnigen gesellschaftlichen Mehrwert bietet.

Welche Ziele habt ihr euch für die nächsten Jahre vorgenommen?

Anfang 2016, als es noch eine große Flüchtlingswelle gab, haben wir uns zum Ziel gesetzt, bis 2018 insgesamt 1.000 Job Coaches auszubilden, die 20.000 Geflüchtete in Arbeit bringen sollen. Jetzt sehen wir das aufgrund unserer Erfahrung ein bisschen realistischer. Eine große Zahl ist immer schön und gut – aber man muss sich immer vor Augen halten, dass hinter einer großen Zahl viele einzelne Personen mit ganz persönlichen Geschichten stehen. Es geht uns ja nicht darum, Geflüchteten irgendeine Arbeit zu vermitteln – sondern genau die richtige Arbeit, die zu einer Person und ihrer Situation passt. Bis 2020 wollen wir 5000 Geflüchteten genau diese Arbeit vermittelt haben.

Wie finanziert sich integrAIDE als soziales Start-Up?

Im letzten Jahr haben wir als eines der ersten sozialen Unternehmen eine EXIST-Förderung vom Wirtschaftsministerium bekommen. Jetzt bekommen wir ein paar andere Fördermittel und sprechen immer mehr Unternehmen an. Wir bieten ihnen einerseits Coachings für ihre Mitarbeiter an und andererseits können sie für uns spenden. Durch eine große Spende von Flyeralarm konnten wir hier in Würzburg zum Beispiel unseren Projektkoordinator anstellen. Aber auch als Privatperson kann man für uns spenden, zum Beispiel über unsere Website oder die Spendenplattform Betterplace.

Was kann die Politik tun, um innovative soziale Unternehmen wie euch zu unterstützen?

Generell gilt für Initiativen wie uns, dass staatliche Strukturen eine gewisse Herausforderung darstellen. Zwar wird schon viel gemacht und viel gefördert aber meistens werden sehr klassische soziale Institutionen unterstützt. Was der Staat also für uns tun kann, ist offen sein und auch soziale Start-Ups mehr unterstützen. Außerdem würde ich mir generell für die Integrationspolitik wünschen, dass es einheitliche Regelungen und klare Prozesse gibt, die transparent sind. Ich würde mir wünschen, dass es gewürdigt wird, wenn Menschen sich hier integrieren wollen. Dass die Leute Chancen bekommen und sich tatsächlich integrieren können. Davon kann am Ende jeder profitieren.

Das Gespräch führte Anne Hempel