Unkompliziert und zurückhaltend – so wirkt Xingyi Liu auf den ersten Blick. Er ist Juniorprofessor für Wettbewerbspolitik am volkswirtschaftlichen Institut an der Universität Würzburg. Sein Büro in der Neuen Universität ist überschaubar und zweckmäßig eingerichtet, die zwei Bilder an der Wand hat er von seinem Vorgänger übernommen. Xingyi Liu strahlt Ruhe und Konzentration aus. „Ich möchte mit meiner Forschung etwas bewirken“, das ist sein erklärtes Ziel.
Wissenschaft – „Das ist Energie für dein Leben“
Dabei war zu Beginn gar nicht klar, wohin ihn sein Weg führen würde. Geboren und aufgewachsen in China, studiert er Mathematik und Volkswirtschaftslehre an der Wuhan University. Nach seinem Abschluss führt ihn sein Masterstudium an die Toulouse School of Economic nach Frankreich, wo er schließlich 2014 seinen Doktortitel erlangt. „Ich wollte Neues lernen, fremde Länder und Kulturen kennenlernen und neuen Menschen begegnen“. Er blickt zur Seite, nimmt sich Zeit zum Nachdenken. Auf die Frage, warum er Frankreich gewählt habe, antwortet er mit einem Lächeln: „Jeder möchte doch mal in seinem Leben nach Frankreich!“. Aber natürlich war es auch der ausgezeichnete Ruf der Universität, grade im Fachgebiet Industrieökonomie, der ihn in die Stadt an der Garonne ziehen lässt.
Mit Ende seines Bachelorstudiums war für Xingyi Liu klar, dass er die akademische Laufbahn einschlagen möchte. „Als Wissenschaftler arbeitest du mit unterschiedlichen Menschen, jeden Tag entstehen neue Ideen, werden neue Dinge erschaffen. Es ist doch ähnlich wie die Arbeit als Journalist – jeden Tag erfrischend!“, vergleicht er die beiden Berufsbilder. Dieser Mehrwert sei bedeutend und macht für ihn die Arbeit als Wissenschaftler aus. „Das ist Energie für dein Leben“, erklärt er.
Er sitzt ganz ruhig da, nur sein Blick schweift immer mal konzentriert umher. In diesen Momenten scheint er seine Gedanken zu strukturieren, die dann zu einer wohlüberlegten Antwort werden.
Deutschland, ein gutes Land zum Forschen
Dem Ruf nach Würzburg sei er gerne gefolgt, sagt er und fügt aber gleich lachend hinzu, dass er ja eigentlich noch kein richtiger Professor sei. Und doch kann man die Ernennung zum Juniorprofessor mit 28 Jahren als etwas Besonderes ansehen. Werden denn seine Erwartungen erfüllt? „Bis jetzt läuft alles sehr gut“, grinst er. In Deutschland habe man zudem sehr gute Möglichkeiten englischsprachig zu forschen. Nichtsdestotrotz lernt er Deutsch. „Ich bringe es mir selbst bei, für einen Kurs habe ich keine Zeit. Aber irgendwann möchte ich fließend sprechen.“
Das Hauptforschungsgebiet von Xingyi Liu ist die Industrieökonomik mit den Auswirkungen des Wettbewerbs auf Verbraucher und die Gesamtwirtschaftlichkeit. In seiner aktuellen Forschungsarbeit beschäftigt er sich mit der unterschiedlichen strategischen Ausrichtung zwischen Firmen und den Auswirkungen auf Wettbewerb und Markt.
„Hier gibt es eine Zeit zum Arbeiten und eine Zeit um sich auszuruhen.“
Auch sein Privatleben außerhalb der Universität ist von Bescheidenheit geprägt. „Ich fahre gerne Fahrrad am Main, also im Sommer“, lacht er. „Jetzt gerade ist es zu kalt.“ Sobald es warm ist, findet man Prof. Liu mit Freunden in den Gärten rund um die Residenz. In der Altstadt erledigt er gerne seine Einkäufe und merkt an: „So alt ist dieser Teil ja nicht, vielleicht aus dem Mittelalter.“
Xingyi Liu bevorzugt kleine, ruhige Städte, in denen man alles Wichtige zu Fuß erledigen kann. Dadurch behalte man einen klaren Kopf und werde nicht vom Wesentlichen abgelenkt und aufgehalten. Im Kontrast zu dem immer hektischen und beschäftigten China resümiert er die Vorzüge Europas: „Hier gibt es eine Zeit zum Arbeiten und eine Zeit um sich auszuruhen.“
China beginnt sich für westliche Forschungsstandards zu öffnen
Auch zum Forschen und Arbeiten zeichnet sich Europa aus. China hat sich erst in den 80er Jahren für die Forschung im Bereich der Wirtschaftswissenschaften, wie wir sie in Europa und den USA kennen, geöffnet. „Wir haben es hier mit unterschiedlichen Mentalitäten zu tun“, sagt er. „Konzepte und Untersuchungen der Mikroökonomie, also Basiskonzepte wie sie in Europa jeder kennt, wurden in China erst 1990 bekannt.“ Planwirtschaft und Marxismus habe die Forschung und Lehre in China sehr beeinflusst und geprägt, erzählt er.
Während Xingyi Liu von seiner Heimat und der Geschichte Chinas berichtet, wird seine Gestik ausgeprägter. Seine Hände, sonst eher still in sich verwahrend, unterstreichen nun lebhaft das Gesagte. In den letzten Jahrzenten vollziehe sich ein Wandel. Vor allem seit 2001, als China der Welthandelsorganisation WTO beigetreten ist, habe sich das ‘Reich der Mitte‘ für den Westen geöffnet und sei internationaler geworden, erzählt er weiter. „Die Universitäten versuchen nun die Lücke zu schließen.“
China versucht also sich an westliche Forschungsstandards anzugleichen – ist das nun ein Grund in die Heimat zurückzukehren? „Wenn ich ehrlich bin, ist es besser für mich in Europa zu forschen. Gerade am Anfang der akademischen Karriere braucht man eine gute Plattform und im Moment kann China das noch nicht bieten.“ In China gäbe es zudem nur eine kleine Gruppe, die in seinem Bereich forsche und der bürokratische Aufwand an den Universitäten nehme viel Zeit in Anspruch.
Prof. Liu bleibt der Universität Würzburg erstmal erhalten. Für die Zukunft ist ihm wichtig, seine Forschungsergebnisse einer breiten Masse zugänglich zu machen: „Ich möchte etwas bewirken!“
Von Sara Auth