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Automatischer Datenaustausch zwischen Maschinen, auch über Firmengrenzen hinweg: (v.l.n.r.) Daniel Neuß, Julian Hornung und Marcus Fischer untersuchen, wie kleine und mittlere Unternehmen von der Vernetzung ihrer Produktion profitieren können. Foto: Nicole Hawkins

KMU 4.0? Würzburger Forscher wollen kleine und mittlere Unternehmen vernetzen

Kleine und mittlere Unternehmen sind für die Wirtschaft in Deutschland wichtig – so stark digitalisiert wie große Firmen sind sie oftmals nicht. Daniel Neuß, Julian Hornung und Marcus Fischer vom Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik der Uni Würzburg entwickeln im Projekt „Komplex-e“ eine Entscheidungshilfe für KMU, die auf Vernetzung setzen wollen.

Warum ist es wichtig, die Zusammenführung der Produktion kleinerer und mittlerer Unternehmen (KMU) mit moderner Informations- und Kommunikationstechnik zu untersuchen?

Daniel Neuß: Wir wollen herausfinden, wie wir die verschiedenen Produktionsebenen in den KMU miteinander verbinden können. Gerade bei großen Unternehmen funktioniert das schon sehr gut, da sie unter anderem oft sehr homogene Systemlandschaften aufweisen. So findet man in einem großen Unternehmen beispielsweise meist nur Maschinen von einem Hersteller, was eine Vernetzung viel einfacher macht. In den kleinen Unternehmen sieht das anders aus. Hier finden wir oft eher heterogene IT-Systeme, zusammengesetzt aus unterschiedlichsten Software-Lösungen und Maschinen, die über die Jahre gewachsen sind und alle nicht wirklich zusammen passen. Deshalb ist es hier besonders wichtig zu untersuchen, wie eine Vernetzung möglich ist.

Wir versuchen auf der einen Seite herauszufinden was schon in welchen Bereichen funktioniert und wie man das auf KMU transferieren kann. Auf der anderen Seite forschen wir direkt mit den KMU, um Lücken oder Potentiale zu finden, die das Ganze vereinfachen und verbessern können. Vor allem wollen wir das Projekt „Industrie 4.0“ so herunter brechen, dass es für KMU praxisnah anwendbar ist.

Marcus Fischer: Unser Ansatz geht über das klassische Verständnis von Industrie 4.0 hinaus. Es beschränkt sich nicht nur auf Roboter in einer Industriehalle. Unser Ziel ist es, dass verschiedene Maschinen in unterschiedlichen Industriehallen miteinander kommunizieren können und die betriebswirtschaftlichen Informationen über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg weitergeleitet werden.

Was ist die Fragestellung eures Forschungsprojekts?

Daniel Neuß: Wir wollen untersuchen, wie aufwendig es ist, eBusiness-Standards einzuführen. Konkreter geht es darum herauszufinden, was den übergreifenden Unternehmensaustausch ermöglicht. Daraus entwickeln wir ein Tool, das den KMU anschließend zur Verfügung gestellt wird. Es soll dabei helfen, eine ganzheitliche Analyse der individuellen Unternehmenssituation durchzuführen und daraus Handlungsempfehlungen abzuleiten. Dies bietet die Möglichkeit den Aufwand abzuschätzen, zu realisieren wie komplex oder einfach das Projekt ist und zu erkennen, was auf das Unternehmen zukommt.

Die gesamte Systemlandschaft war noch nicht reif genug.

Wie seid ihr vorgegangen und welche Ergebnisse konntet ihr bisher erzielen?

Daniel Neuß: Wir haben 140 Einführungsprojekte analysiert und haben daraus Best-Practices abgeleitet. Wir haben auch analysiert, was nicht so optimal funktionierte. Wir haben einen Blick auf die elementaren Bausteine und die Herausforderungen bzw. Stolpersteine solcher Projekte geworfen. Wir sind jetzt im Moment dabei das alles zusammen zu bringen, damit KMU an der richtigen Stelle die richtigen Informationen bekommen.

Nehmen wir folgendes Beispiel. Ein Klassifikationsstandard wie „eCl@ss“ soll eingeführt werden. Dabei werden Produkte klassifiziert, um diese strukturiert an Geschäftspartner weiter geben zu können. Hierfür müssen stets bestimmte Informationen in den Unternehmen vorhanden und verfügbar sein, beispielsweise: Was ist es jeweils für ein Produkt? Welche Farbe hat es? Aus welchem Material besteht es? Hat es besondere Eigenschaften? Diese Informationen liegen in den KMU meist bei nur ein, zwei Personen. Als ein beispielhaftes Projekt angestoßen wurde, hat sich gezeigt, dass es sehr oft an dieser einen Person lag, die Stammdaten zu klassifizieren. War diese z. B. krank, hing dementsprechend auch das Projekt, denn nur dieser eine Mitarbeiter konnte die gesamte Klassifizierung eines Teilbereichs durchführen.

Das sind wertvolle Hinweise, die wir im Vorfeld geben können. Wir machen die Unternehmen darauf aufmerksam, dass, im Beispiel, dieser Mitarbeiter zu den relevanten Zeiten zur Verfügung stehen sollte und von anderen Aufgaben im Tagesgeschäft entbunden wird, um sich ganz darauf konzentrieren zu können.

Welchen Nutzen konnten Unternehmen aus der Region bisher von eurer Arbeit ziehen?

Julian Hornung: Wir sind während unseres Projekts von regionalen Unternehmen kontaktiert worden, die sehr interessiert an einem vertieften elektronischen Datenaustausch mit ihren Geschäftspartnern sind. Da geht es zum Beispiel um digitale Rechnungen. Wir sind daraufhin dort hingefahren und haben uns zuerst die Informationssystem-Landschaft jener Unternehmen zeigen lassen. Bei einem haben wir später zusätzlich eine detaillierte und sorgfältige Bestandsaufnahme gemacht, um herauszufinden, welche IT-Systeme eingesetzt werden und welche Prozesse es in dem Unternehmen gibt. Besonders haben uns die Anknüpfungspunkte für eStandards interessiert. Unsere Kernerkenntnis war: Die Unternehmen sind meist noch lange nicht so weit, dass sie eStandards einsetzen oder erzeugen könnten. Die gesamte Systemlandschaft war noch nicht reif genug. Ich glaube das ist sehr typisch für KMU. Natürlich gibt es auch dort Informationssysteme, welche die Produktion, die Produktbeschaffung und den Vertrieb unterstützen. Das alles sind jedoch oft Insellösungen, die untereinander innerhalb des Unternehmens schon kaum vernetzt sind.

Es nützt nichts an den Unternehmensgrenzen mit dem Denken aufzuhören.

Daniel Neuß: Ich denke, das ist sehr symptomatisch. Selbst im Rahmen der Industrie 4.0-Kompetenzzentren werden teilweise Insellösungen vorgestellt, in denen exemplarisch Themen umgesetzt werden. Genau das ist aber das Problem. Wenn ich ein Unternehmen vernetzt habe, beziehungsweise eine komplette Integration durchgeführt wurde, dann ist es immer noch nur ein Unternehmen. Denken Sie aber an die flexible Werkbank: Hier ist die Idee, wenn zum Beispiel die Kapazitäten für einen großen Auftrag im eigenen Unternehmen nicht ausreichen, auf ein anderes Unternehmen auszuweichen, von dem man weiß, dass dort dieselbe Maschine mit 20 Prozent freier Kapazität steht. Im Prinzip geht es nur um die Frage, wie diese Informationen von A nach B kommen. Somit bringt es nichts, wenn man nur eine isolierte Lösung hat. Diese Vernetzung fehlt jedoch im KMU-Bereich häufig.

Marcus Fischer: Die KMU sind ein ganz kleiner Baustein in einer breiten Wertschöpfungskette. Daher nützt es nichts an den Unternehmensgrenzen mit dem Denken aufzuhören. Man muss über die Unternehmensgrenzen hinweg schauen, die verschiedenen Partner in der Wertschöpfungskette gemeinsam betrachten. Dort muss man versuchen, Integrationspotenziale zu heben und somit Austausch zu ermöglichen.

Das Gespräch führte Nicole Hawkins